Wednesday, August 23, 2006

I´m on the highway to Flughafen

Das erste Mal trampte ich in Australien. Aus der Not heraus und eigentlich auch nicht richtig. Es war das Vernünfigste, was ich tun konnte. Im Dezember 1997 besuchte ich mit zwei Freunden einen alten Schulfreund in einem Vorort von Perth an der Westküste Australiens. Nachdem wir uns vier Wochen durch den Kühlschrank der Familie gefuttert hatten, gab es eine ernste Unterredung mit Mutter Pravica. Dass wir die nächsten vier Wochen in unserem Paradies bleiben wollten, stieß nicht bei allen Mitgliedern der Familie auf ungeteilte Freude.

Also mussten wir handeln: Ich kaufte mir für 475 australische Dollar eine Durch-die-Weltgeschichte-Herumreise-Karte (Australia Flexi Pass), mit dem ich 15 Tage mit der Great Southern Railway fahren durfte, Tobias buchte einen früheren Flug in die Heimat und stellte mir sein überzähliges Geld inAussicht. Ich erinnere mich noch, wie wir in Fremantle am Bahnhof das Ticket kauften und der lustige Verkäufer seine Späße mit uns trieb, als wir ihm erzählten, dass wir vier Wochen einzig in Fremantle geblieben waren.

"Hey, John, komm mal rüber. Das glaubst du nicht: Diese beiden lustigen Cowboys sind seit vier Wochen in Australien. Und rate mal, was sie die ganze Zeit gemacht haben? Sind die ganze Zeit in Frematle gewesen. Ist das nicht toll?"

Na ja, aus Verlegenheit haben wir dann mitgegrinst. Bevor ich aber Tausende von Kilometern durch den Kontinent zurücklegenkonnte, verschlechterte sich meine finanzielle Lage noch ein wenig. Alles nur,weil ich im Auto faxen machte. Die hinter uns fahrende Frau fand meine Show schlecht, knallte sich eine Sirene auf´s Dach und bat unseren Fahrer, doch mal bitte rechts ranzufahren. Daraufhin knöpfte sie Tobias 150 Taler ab, weil er nicht angeschnallt war, und ritzte damit auch ein kleines Löchlein in mein Sparschwein. Es war ja auch irgenwie mein Geld.

Ich machte mich trotzdem auf die Reise. Mit dem Indian Pacific. Allerdings ist es mir noch heute ein Rätsel, was daran so besonders ist, 41 Stunden mit dem Zug durch die Gegend zu fahren. Ist irgendwie wie im Gefängnis.Man steigt gut gelaunt in Perth in die Kutsche und 2659 Kilometer später krabbelt man nach zwei Tagen fröhlichem Aus-dem-Fenster-Glotzen wieder aus dem Zug. Mit tierischen Rückenschmerzen, da kein Mensch so lange normal sitzen oder gar schlafen kann. Zumindest nicht in der Holzklasse, die ich gebucht hatte. Unzählige Male versucht man sich neu zu setzen oder zu legen -wünscht sich mittendrin, eine Zeitung zu sein - aber es geht nicht. Die halbe Reise verbringt man damit, dieses Rätsel zu lösen. Zwar schnarchen des Nachts einige Leute, aber die Geräusche kommen wahrscheinlich vom Band.Wenigstens kommt man im Zug nicht auf dumme Gedanken: beispielsweise trampen zu wollen.

Das Outback kann wohl recht unangenehm werden: Kein Wasser, und dann all die giftigen Spinnen, Skorpione und Schlangen, die es sich im eigenen Schlafsack gemütlich machen können. Da sich im weiteren Verlauf der Reise meine Geldschwierigkeiten noch vergrößern sollten - was, wenn ich es recht überlege, irgendwie auf all meinenReisen der Fall ist - schlief ich nicht in der Jugendherberge. Mal im Auto, mal auf der Parkbank, im Busch, vor der Kirche - wo eben Platz war. Manchmal schlief ich auch am Tag, wenn nachts irgendwas dazwischenkam. Ichwusch mich auf öffentlichen Toiletten und lernte, dass man mit Drogen ....ähhhhhhhhhh: Doughnuts über den Tag kommt. Nur eine kleine Spritze jeden Tag und ich fühlte mich wie ein neuer Mensch und hatte auch keinen Hunger mehr. Manchmal halfen mir Leute mit Geld, manchmal nutzte ichoffizielle Feiertage, um meinen Vitaminhaushalt wieder auf Vorderman zu bringen.

Irgendwann neigte sich meine Reise dann ihrem Ende entgegen, ich kam nachFremantle zurück, brauchte zwei Tage und etwas Glück, um die neue Adresse des Freundes herauszukriegen (die späte Rache?), der mit seiner Familie in der Zwischenzeit umgezogen war. Wahrscheinlich in ein Haus mit zwei Kühlschränken. Ich musste ihn finden, da er meine Flugtickets und noch so Zeug hatte. Nach dem Besuch der Polizei, der Stromgesellschaft und ihrer Schule bedurfte es eines glücklichen Umstandes, eine Freundin der Familie zu sehen, an die ich mich dann klammerte, nicht ohne in einem zehnminütigen Anflug von Redebedarf meine missliche Lage zu schildern.

So hatte ich am Ende einen großen Rucksäcke und drei Taschen und musste den Weg zum internationalen Flughafen in Perth zurücklegen, denn es gab zwei Flughäfen: einmal den domestic und dann den international airport.Das Geld war rationiert; also fragte ich einen der herumstehendenTaxxifahrer, wie weit es denn zum Flughafen sei. "Zwanzig Kilometer. Kostet 20 Dollar." Obwohl ich nur eine höfliche Frage stellte, wurde ich sofort auf meinen Geldbeutel reduziert. Da auch der Bus auch 6,50 kostete, stand meinem kleinen Fußmarsch nichts mehr im Weg. Ich füllte in der Bibliothek meine beiden Wasserflaschen auf, kaufte mir Bananen und Erdnüsse und machte mich auf denWeg.

Perth, der 16. Februar 1998. Es war Hochsommer in Australien, und nur die ganzenTaschen, die ich am Körper mit mir trug, verhinderten, dass ich fliege. Nachdem ich um 11 Uhr aufgebrochen war, mich immer schön links hielt und dann und wann eine kleine Pause machte (um mich wieder in Form zu bringen, das Haar zu richten und Wasser aus verborgenen Wasserhähnen nachzufüllen), bog ich schließlich auf den Highway ein. Jetzt konnte nichts mehr schief gehen, denn ab jetzt ging es nur noch geradeaus. Nach 15 Kilometern war die Qual zu Ende. Kein Wasser mehr, auch dieLebensmittel zum Großteil aufgebraucht, machte ich meinem Martyrium ein Ende. Das zweite Auto, das für mich anhielt und sich nach meinem Befinden erkundigte, fuhr mich dann zum Flughafen. Die ganze Fahrt dauerte nur einige Minuten, ersparte mir aber einen lästigen Fußmarsch von zwei Stunden. Ich war sehr dankbar, als ich so gegen 16.30 Uhr südaustralischer Winterzeit im Flughafen von Perth ankam. Das ersparte es mir, weitere zwei Stunden über den Asphalt zu stolpern. Brennend heißer Wüstenasphalt, so schön, schön war die Zeit...

Jetzt galt es nur noch, die Wartezeit auf dem Flughafen zu überbrücken. In 36 Stunden würde ich an Bord der Maschine heimatlichen Boden ansteuern. Wo man gleich nach der Ankunft versuchen würde, mich in ein kleines Abenteuer der homosexuellen Spielart zu verwickeln. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Sven E. (29) absolvierte eine Ausbildung zum Buchhändler, ehe er an der Humboldt-Universität ein Studium der Neuen Deutschen Literatur begann. Leider überschätzt er sich dann und wann und hält sich für unsterblich.

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