Wednesday, August 23, 2006

Nahverkehr in Mumbai

Nahverkehr in Mumbai - keine verkehrsberuhigte Zone

Ich bin Berliner – und das sehr gern. Als Berliner schimpft man hin und wieder über die BVG, den lokalen Anbieter von Nahverkehrsdienstleistungen. Zu spät, zu voll, zu teuer. Geschimpft über die BVG habe ich aber schon seit ein paar Monaten nicht mehr. Ich war in Indien für 4 Monate, genauer gesagt in Mumbai – ehemals Bombay.

Trampen ist in Mumbai nicht möglich, aber auch nicht notwendig. Es fahren viele Taxis und Rickshaws herum, die einen für relativ kleines Geld an jeden Ort der Stadt bringen. Auf den Strassen Mumbais kommt man nur mit Geduld und viel Zeit voran, sie verlaufen kreuz und quer, scheinbar ohne System. Als Fußgänger schwebt man stetig in Lebensgefahr. Der Linksverkehr erschwert zudem das rechtzeitige Springen in die richtige Richtung. Das Hupen als solches fällt als Warnung leider aus, da hier jeder ständig hupt. Straßennamen gibt es nicht, wer sich den Namen des Viertels und entsprechende Erkennungspunkte nicht merken kann, bekommt zum einen vom Rickshaw-Fahrer eine kostenintensive Stadtrundfahrt und kommt zum anderen niemals zu hause an.

Die Strassen sind eng und werden von Bussen, Lastkraftwagen, den vielen Rickshaws, Taxis und normalen Autos befahren, dazwischen drängeln sich viele Motorradfahrer, Fahrradfahrer und natürlich die Fußgänger. Die Straßenränder in den Seitenstrassen werden jeweils von Abwassergräben begrenzt. Da fließt leider kein Wasser, sondern die Brühe steht und stinkt. Unfälle sind täglich zu beobachten. Wie den Zeitungen zu entnehmen ist, sterben etwa 50 Leute jeden Tag auf den Strassen wegen Unfällen, 10 allein auf den Bahntrassen.

Rickshaw fahren macht Spaß
In Mumbai gleichen sich viele Viertel sehr, so das die Orientierung wirklich schwerfällt. Wenn man sich verläuft, hat man nur eine Chance: In eines der tausenden Rickshaws (kleine 3-rädrige Gefährte mit 2 Sitzgelegenheiten hinter dem Fahrer) springen und darauf hoffen, das der gute Fahrer einen nicht noch weiter vom Zielort wegbringt. Die Rickshaws sind die schnellste Möglichkeit im normalen Stadtleben vorwärts zu kommen. Und das normale indische Leben findet nicht im Süden, dem von den Briten ansprechend gestalteten Teil Mumbais statt. Dort sind Rickshaws aufgrund einer geordneteren Verkehrsführung verboten, sie dürfen nur im nördlichen Stadtgebiet herumfahren.

Rickshaw-Fahrer muss ein sehr beliebter oder aber sehr erträglicher Job sein in Mumbai, da wirklich Massen von Rickshaws unterwegs sind. Ich kann mich nicht erinnern zweimal beim gleichen Kollegen ins Rickshaw gesprungen zu sein. Diese lustigen Gesellen jedenfalls trotzen jedem Smog und Stau und fahren ihre 3-rädrigen Gefährte hupend und barfuss durch jede noch so kleine staubige Gasse. Leider winken sie einen auch in ihr Gefährt, wenn sie gar nicht wissen, wo es hingehen soll, aber nach einigen Diskussionen und im Notfall einem Wechsel des Fahrzeugs, kommt man doch immer richtig an. Es gibt eine Art Taxometer, an dem sich der Fahrpreis ermitteln lässt. Bezahlt wird nach Strecke und Zeit, daher wird die Karre auch im aussichtslosesten Stau angelassen, der Kunde soll ja zahlen. Nachts ab 24 Uhr muss man einen höheren Preis zahlen. Für die Fahrpreise gibt es exakte Vorschriften. Je nach Tag- oder Nachttarif wird der Preis anhand des Taxometerstands ermittelt. Hierzu hat jeder Fahrer eine Tarifkarte mitzuführen. Bei fremdländisch blassen Zeitgenossen wird grundsätzlich beschissen, so dass man sich immer diese Karte zeigen lassen muss. Einfallsreich wie die Jungs sind, erfinden sie zusätzlich gern neue Regeln (Tarifkarte? Habe ich nicht! Alternativ: Habe ich vergessen. Taxometer? Ist kaputt. Oder: Wird nachts nie angemacht, Auch gern: Ich mache dir einen super Festpreis. Bei mehreren Fahrgästen: Der Preis gilt immer pro Person. Und wenn Du vom Flughafen kommst: Für den Transport vom Flughafen gibt es spezielle Aufschläge. Und hast Du noch Gepäck dabei: Da zahlst Du aber mehr.)

Bahnfahren in der Rush-Our als Workout
Auch auf dem Weg zur Arbeit kommt man auf den kurzen Strecken am schnellsten mit den wendigen Rickshaws voran, günstiger sind die Busse, aber in der Rush-Our zu langsam um voranzukommen. Die Variante kurze Strecken zu Fuß zu erledigen, ist auch nicht sonderlich empfehlenswert: Die Luft ist staubig, die Lautstärke der hupenden Verkehrslawine ohrenbetörend und Fußwegen fehlen gänzlich. Um an Werktagen auf dem schnellsten Weg zur Arbeit – und damit in den Süden Mumbais zu gelangen, fällt der Transportträger Strasse aus. Verhältnismäßig schnell fahrend, mit einer hohen Taktung und auf die Minute pünktlich – das sind die Eisenbahnen Mumbais. Aber die Bahnen sind auch wahnsinnig voll. Um in den Zug zu kommen oder gar einen Sitzplatz zu bekommen ist harter Körpereinsatz gefragt. Für Frauen gibt es extra Waggons, das ist wohl auch besser so.

Die Prozedur am Morgen ist immer die gleiche. Es gilt sich zuerst eine gute Position am Bahnsteig zu verschaffen. Wenn der Zug einfährt, rennt man mit dem einfahrenden Zug mit und springt auf, während einem die anderen hineinschieben. Das läuft mal mehr, mal weniger rabiat für einen selbst ab. In dieser Zeit kennt der sonst eher zurückhaltende Inder keine Freunde und es gelten für 4-5 Sekunden keine Regeln, außer vielleicht die, das der Stärkste gewinnt. Für den durchschnittlichen Mitteleuropäer kommen da gewisse Größenvorteile ins Spiel, da sich die ausgewinkelten Ellenbogen exakt in Kopfhöhe der indischen Mitstreiter befinden. Sobald alle Sitzplätze vergeben sind, beruhigt sich die Lage wieder sehr schnell. Sollte man keinen Sitzplatz abbekommen, hat das den großen Nachteil, das man im Gang eingequetscht verharren muss und bei jedem Halt einmal links und einmal rechts durchgeknuddelt wird.

Die beschriebene Aufspringtaktik klappt natürlich nur, wenn der Zug leer einfährt. Das ist nur an bestimmten Bahnhöfen morgens möglich. Rückzu kommt das Eisengefährt schon voll an. Da jeder die Angst haben muss nicht mehr mitfahren zu können, geht es während des gesamten Haltes des Zuges (etwa 20 Sekunden) richtig zur Sache. Es wird bis zu dem Moment befightet, bis der Zug zu schnell wird, um noch aufzuspringen. Meist steigert sich der Druck der Menschenkörper aber derart, das drinnen irgendwie ausgewichen wird und letztlich alle mitfahren können. Mitfahren heißt in dem Fall aber noch nicht gemütliches Stehen. Denn es kann eine leichte Panik aufkommen, wenn man draußen am Zug hängen muss, um überhaupt befördert zu werden. Warten auf die nächste Bahn ist übrigens zwecklos - leerer wird es erst nach Stunden.

Draußen am Zug hängen bedeutet einen Arm fest an einer Eisenstange festgekrallt und mit einem Fuß auf einem Trittbrett balancieren. Einen Vorteil hat diese leicht krampfige Position: Der Fahrwind macht die Temperaturen erträglicher – im Inneren des Waggons kommt noch ein beißender Schweißgeruch hinzu. Und damit das keine Fragen aufwirft: Die Schilderungen beziehen sich auf die 1. Klasse im Zug. In der 2.Klasse sind die Plätze auf dem Dach sehr begehrt.

Jedenfalls muss ich noch immer schmunzeln, wenn ich heute eine volle U-Bahn am Alex einfahren sehe und die Leute draußen geduldig warten, bis die anderen ausgestiegen sind. Das ist normal, aber eben auch langweilig.


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Christian G. (26) studierte BWL an der Berufsakademie und verbrachte im Rahmen seines anschließenden VWL-Studiums an der ein Praxissemester in Mumbai. Gleich nach dem erfolgreichen Studienabschluss fand er einen gutbezahlten Job im Controlling einer großen deutschen Logistikfirma.

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